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Initiativen lancieren per Mausklick

Der Kanton Zürich soll laut einem SP-Politiker die Pionierrolle übernehmen beim digitalen Unterschriftensammeln. Ein Experte warnt.

17.01.2019, 11:19 Uhr / Quelle: Tagesanzeiger

Dieser Beitrag wurde im Original im Tagesanzeiger am 17.01.2019, 11:19 Uhr veröffentlicht.

Für den Zürcher Regierungsrat ist es ein digitales Schreckgespenst, das er am liebsten auf unbestimmte Zeit in einer Schublade verstaut hätte: E-Collecting, das elektronische Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden. Im Zentrum der Bedenken steht der Mehraufwand, weil man befürchtet, dass diese Möglichkeit eine Flut von Initiativen zur Folge hätte.

«E-Collecting ist kein Thema mehr, seit der Bundesrat im April 2017 beschlossen hatte, es nicht mehr weiterzuverfolgen», sagte Stephan Ziegler, Leiter Wahlen und Abstimmungen beim statistischen Amt des Kantons Zürich, in der «Limmattaler Zeitung» Anfang Jahr. Auch der Kantonsrat liess das Thema lange ruhen, der letzte Vorstoss dazu wurde vor zehn Jahren eingereicht.

Jetzt aber zwingt eine Motion den Regierungsrat, sich wieder mit dem ungeliebten Thema zu befassen. Der Vorstoss, der heute Donnerstag im Kantonsrat eingereicht wird, verlangt nach einer gesetzlichen Grundlage fürs Sammeln elektronischer Unterschriften «über das Internet oder auf mobilen Endgeräten». Welcher Kanton wird zum Pionier?

Erstunterzeichner Andrew Katumba (SP) sagt: «Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung digitalisierte Demokratie.» Wenn alles rundlaufe, könnten bis in drei Jahren Unterschriften digital erfasst und überreicht werden. Katumba hofft, dass Zürich eine Pionierrolle übernimmt – doch es gibt Konkurrenz. In St. Gallen wurde eine entsprechende Motion bereits im letzten November abgesegnet, auch in Basel-Stadt gibt es entsprechende Bemühungen. Auffällig: In allen Kantonen sind es die Polparteien wie SP und SVP, die E-Collecting vorantreiben. Also jene Parteien, die schon jetzt am meisten Initiativen einreichen. Mitteparteien stehen derweil auf die Bremse.

Katumba erhofft sich eine Ausweitung der politischen Partizipation. Heute würden Unterschriften dort gesammelt, wo es am meisten Menschen hat, also an besonders belebten Orten in den Stadtzentren. Das sei problematisch. Menschen in Randregionen oder Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben, seien im jetzigen System von den politischen Prozessen ausgeschlossen, sagt Katumba. «Unsere Motion ist deshalb ein Demokratievorstoss für alle.» E-Voting in Genf gefloppt

Das E-Collecting fristete lange ein Schattendasein hinter dem viel diskutierten E-Voting. Der Kanton Genf entwickelte 2004 eine Plattform zur elektronischen Stimmabgabe bei Abstimmungen. Andere Kantone sprangen auf und nutzten dieselbe Plattform. Die Euphorie war gross, eine landesweite Einführung von E-Voting schien nur eine Frage der Zeit. Im letzten November beschloss der Genfer Regierungsrat, das Projekt einzufrieren: Zu teuer, zu komplex, zu gross die Unsicherheit, was die Datenhandhabung betrifft.

«Wir halten nicht E-Voting, sondern E-Collecting für die eigentliche Revolution der direkten Demokratie.»
Uwe Serdült, Politikwissenschafter

Dem vorläufigen Niedergang des E-Voting steht nun der Aufstieg des E-Collecting gegenüber. Viele Experten und Politikerinnen sind sich einig: Diese Digitalisierungsmassnahme hat grosses Potenzial, die politische Landschaft umzuwälzen. Der Politikwissenschafter Uwe Serdült vom Zentrum für Demokratie Aarau setzt sich in einer Studie vertieft mit dem Thema E-Collecting auseinander. «Wir halten nicht E-Voting, sondern E-Collecting für die eigentliche Revolution der direkten Demokratie.» Politischer Einfluss für Facebook und Co.

Die Studie weist aber auch auf Gefahren hin: Die gesteigerte Anzahl an Referenden und Volksinitiativen könne durch die Unterstützung eines E-Collecting-Systems «die Öffentlichkeit an die Grenze des Zumutbaren» bringen. E-Collecting kann gemäss Serdült neue politische Akteure hervorbringen. Denn es seien nicht die Parteien, die innert kurzer Zeit elektronische Unterschriften zu sammeln imstande sind, sondern «typischerweise Webseiten mit hohen Besucherzahlen».

Die Studie nennt «Newsportale von grossen Medienhäusern oder Fernsehsendungen mit starker Onlinepräsenz». Auch Facebook und Co. könnten ein Wörtchen mitreden: E-Collecting sei geradezu «eine Einladung für nicht in der Schweiz beheimatete Internetportale», Einfluss auf die nationale Politik zu nehmen. «Traditionelle politische Akteure riskieren, was Unterschriftensammlung angeht, obsolet zu werden.» E-Collecting light

Solche Befürchtungen relativiert der Kampagnenexperte Daniel Graf, der als Vorreiter in der E-Collecting-Debatte gilt. «Die Begeisterung wäre zu Beginn wohl gross», sagt er. «Gut möglich, dass sich zusätzliche Akteure eine Unterschriftensammlung überlegen.» An eine Flut glaubt er indes nicht. Auch auf digitalem Weg sei viel Organisation, Know-how und Einsatz notwendig, um eine Initiative zu realisieren.

Diese Einschätzung stützt sich auf Grafs Erfahrung mit der Plattform Wecollect, die er seit 2016 betreibt. Im Grunde macht sie das, was Katumba im Kanton Zürich anstrebt. Zurzeit werden auf Wecollect gleich für fünf verschiedene Anliegen Unterschriften gesammelt, unter anderem für die Initiative «Gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer», die das notwendige Quorum schon nach kurzer Zeit erreicht hat. Der Haken: Aufgrund der aktuellen Gesetzeslage dürfen die Unterschriften nicht elektronisch an die Verwaltung übermittelt werden. Dafür soll der Regierungsrat nun die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Drucker und Postversand für die Unterschrift würden überflüssig.

Graf schlägt vor, E-Collecting in Zürich als Versuch zu lancieren: «Nach etwa fünf Jahren lässt sich die Situation besser abschätzen.» Sollten zu viele Initiativen auf elektronischem Weg zustande kommen, könne man sich immer noch eine Erhöhung der notwendigen Unterschriftenzahl überlegen. Zurzeit sind im Kanton 6000 Unterschriften für eine Initiative notwendig.

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